95% aller Außendienstmitarbeiter befinden sich aktuell in einem variablen, leistungsbezogenen Vergütungssystem und bereits über 60% aller Vertriebsinnendienstmitarbeiter. Dabei zählen die Vergütungssysteme im Vertrieb zu den meist diskutierten Themen: Machen variable Vergütungssysteme Sinn, können sie die Mitarbeiter zu guten Leistungen motivieren, welche Vergütungstechniken sind für die Vertriebsvergütung erfolgreich, wie kann der Übergang auf ein neues Vergütungssystem organisiert werden etc.?
Zu diesen und weiteren Fragen im Zusammenhang mit dem Thema Vergütungssysteme führte der Gründer des Ratgeberstudios André Schneider ein Interview mit dem Vergütungsberater Dr. Heinz-Peter Kieser.
Schneider:
Herr Dr. Kieser, Sie haben mehr als 900 Unternehmen auf neue leistungsorientierte Vergütungssysteme umgestellt und verfügen somit über einen wirklich großen Erfahrungsschatz. Insofern freue ich mich darauf, unseren Lesern die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der variablen Vergütungssysteme näherbringen zu können.
Kieser:
Die über 900 Installationen von neuen Vergütungssystemen im deutschsprachigen Raum erfolgten in den unterschiedlichsten Branchen und erstreckten sich über eine Zeit von annähernd 30 Jahren, in denen sich die Vergütungssysteme nachhaltig weiterentwickelt haben. Gut gemachte Vergütungssysteme weisen heute einige typische Kennzeichen auf, die ich gerne erläutern werde.
Schneider:
Gut, ich habe meine Fragen zu aktuellen Vergütungssystemen in fünf Themenfelder aufgeteilt:
- Können variable Vergütungssysteme überhaupt zu Leistung motivieren?
- Wie reagieren solche Vergütungssysteme in Krisenzeiten?
- Welchem Wandel in der Vergütungstechnik unterliegen Vergütungssysteme derzeitig?
- Wie kann man Vergütungssysteme so gestalten, dass sie teamorientiert sind?
- Was muss man bei der Einführung eines neuen Vergütungssystems beachten?
Kieser:
Ja, das umfasst durchaus die Stellhebel zur Gestaltung von erfolgreichen Vergütungssystemen.
Können variable Vergütungssysteme überhaupt zu Leistung motivieren?
Schneider:
Es wird heute doch häufig angezweifelt, ob Vergütungssysteme überhaupt eine Auswirkung auf die Motivation von Mitarbeitern haben. Mitarbeiter sollen intrinsisch motiviert sein – daneben verblasst doch eventuell die Wirkung von variablen Vergütungssystemen, oder?
Kieser:
Der Disput über den Sinn von leistungsorientierten Vergütungssystemen hat seinen Ursprung in einer Unterscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Zwischen beiden Ansätzen wird oftmals ein gewisses Wettbewerbsverhältnis konstruiert. Insbesondere Sprenger vertritt die Auffassung, dass leistungsorientierte Vergütungssysteme der Karotte gleichen, die das Pferd von seinem Reiter vorgehalten bekommt. Die Prämie innerhalb der variablen Vergütungssysteme sei gewissermaßen ein „Misstrauensabschlag“, der als Ausdruck eines Verdachts gegenüber dem Mitarbeiter angesehen werden kann, dass dieser ansonsten, d.h. ohne ein entsprechendes Vergütungssystem nicht voll leisten würde.
Schneider:
Das hört sich ja nicht ganz abwegig an. Sind damit Vergütungssysteme überhaupt von Nutzen?
Kieser:
So kompliziert ist es gar nicht! Aus der Gehirnforschung ist längst bekannt, dass es weder den rein intrinsisch motivierten Menschen noch den rein extrinsisch motivierten gibt. Jeder von uns trägt beide Elemente der Motivierung in sich. Dabei ist interessant, was jüngste Untersuchungen zum Thema Vergütungssysteme ergeben haben: Untersuchungen von Jörg Zeyringer oder der Wirtschaftsberatung Deloitte bestätigen, dass variable Vergütungssysteme in Bezug auf die Motivation der Mitarbeiter ungebrochen an erster Stelle stehen. Dies gilt sogar für die Generation Y. Trotz aller gegenteiligen Argumente.
Schneider:
Aber ist es nicht so, dass Aspekte wie work life balance, Freizeit, Weiterbildung, Karriere etc. an Bedeutung gewonnen haben und die Bedeutung von Vergütungssystemen auf hintere Plätze verwiesen haben?
Kieser:
Diese Aspekte wie z.B. work life balance, Aussicht auf Führungsverantwortung, Bildungsangebote etc. lagen bei den erwähnten Untersuchungen überraschenderweise an relativ abgeschlagenen Positionen. Demnach scheint trotz aller gegenteiligen Auffassungen Einkommen nach wie vor der wichtigste Motivator zu sein. Variable d.h. leistungsbezogene Vergütungssysteme erhalten damit natürlich eine herausragende Bedeutung.
Schneider:
Kann man sagen, dass sich bezüglich der variablen Vergütungssysteme am Ende eine Meinungstendenz herausgebildet hat, die mit den Fakten gar nicht übereinstimmt?