Die Rolle einer variablen Vertriebsvergütung für Motivation und Leistung der Mitarbeiter wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Oft wird der variablen Vertriebsvergütung der Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiter abgesprochen. Dabei sind bereits über 95% der Außendienstmitarbeiter und über 60% der Verkaufs-Innendienstmitarbeiter variabel vergütet. Und die Zahl der Mitarbeiter steigt beständig an, die in leistungsabhängige und variable Vergütungssysteme einbezogen werden. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Und: Hat variable Vertriebsvergütung nur die Aufgabe zu motivieren?
Intrinsische Versus extrinsische Motivation
Der Disput über den Sinn bzw. die Wirkung einer variablen Vertriebsvergütung hat seine Wurzeln in der Unterscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Zwischen beiden Ansätzen wird seitens verschiedener Autoren gewissermaßen ein Wettbewerbsverhältnis hergestellt (vgl. Sprenger, Mythos Motivation, 2010). Intrinsisch motivierte Mitarbeiter gelten in der Motivationspsychologie als Prototyp des selbstbestimmten Menschen. Das Handeln stimmt mit der eigenen Haltung überein, die Freude an der Tätigkeit ist ausschlaggebend. Es besteht eine Einheit zwischen innerer Überzeugung des Mitarbeiters und seinem Tun. Extrinsische Motivation beruht dagegen auf äußeren Anreizen wie variabler Vertriebsvergütung, Incentives, Beförderungen etc.
Reinhard K. Sprenger vertritt die Auffassung, dass eine leistungsorientierte Vertriebsvergütung der Karotte gleicht, die das Pferd von seinem Reiter vorgehalten bekommt. Die Prämie sei gewissermaßen ein „Misstrauensabschlag“, der als Ausdruck eines Verdachts gegenüber dem Mitarbeiter gilt, dass dieser ansonsten nicht voll leisten würde (vgl. Sprenger, Mythos Motivation, 2010). Eine Motivation, die z.B. aus einer Vertriebsvergütung resultiert, habe damit langfristig negative Folgen für die Motivation der Mitarbeiter.
Nun ist aus der Gehirnforschung bekannt, dass es weder den rein intrinsisch motivierten Menschen gibt noch den rein extrinsisch motivierten. Jeder trägt beide Elemente der Motivation in sich. Die Ausprägung des einen oder des anderen Elements können dabei von Mensch zu Mensch durchaus unterschiedlich sein (vgl. Moheb Costandi, 50 Schlüsselideen Hirnforschung, 2015)
Variable Vertriebsvergütung als Führungs- und Steuerungselement
Als Experte für variable und leistungsbezogene Vertriebsvergütung mit der Erfahrung aus über 800 Umstellungen von Unternehmen auf moderne Systeme der Vertriebsvergütung kann ich den konstruierten Gegensatz bzgl. intrinsischer versus extrinsischer Motivation aus der Praxis heraus nicht nachvollziehen. Gut gemachte leistungsabhängige Vertriebsvergütung ist als Führungs- und Steuerungsinstrument konzipiert, ist zielorientiert und versteht sich als Verstärker der Ziele, in die die Mitarbeiter eingebunden werden. So wirkt moderne Vertriebsvergütung gewissermaßen als der „verlängerte Arm“ der Führung und Steuerung der Mitarbeiter.
Die Rolle der Mitarbeiter hat sich in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert: Unternehmen wollen selbstständige Mitarbeiter, die eigenverantwortlich handeln und flexibel bzw. konstruktiv an Lösungen arbeiten. Schlecht gemachte Vertriebsvergütung engt ein, will gängeln. Gut gemachte Vertriebsvergütung lässt Spielräume für Eigenverantwortung: Ziele gelten als vereinbart und weisen Richtungen, der Weg zum Ziel ist Sache des Mitarbeiters. Gut gemachte Vertriebsvergütung führt so zu einer Verbindung von intrinsischer und extrinsischer Motivation, gibt Freiheiten und verstärkt Wechselwirkungen.
Der Trugschluss, dass Geldanreize nicht zu besseren Ergebnissen führen
Als Berater für variable Vertriebsvergütung mache ich häufig die Erfahrung, dass Führungskräfte die stimulierende Wirkung von variabler Vertriebsvergütung in Frage stellen, während die betroffenen Mitarbeiter bei der Frage, was sie motiviere, sehr direkt auf das Thema Geld und Vertriebsvergütung zu sprechen kommen. Gerade bei Verkäufern im Außendienst, die aufgrund ihrer relativ eigenständigen Arbeit eher eine geringere soziale und emotionale Anbindung ans Unternehmen besitzen, spielt erfahrungsgemäß Vertriebsvergütung als Motivator und Stimulanzfaktor eine herausragende Rolle. Hierzu Jörg Zeyringer (Der neue Treppenläufer – wie man sich und andere motiviert, 2010):
Die Ergebnisse meiner wissenschaftlichen Untersuchung, an der rund 1.000 Menschen aus verschiedenen Branchen und unterschiedlichen hierarchischen Ebenen teilnahmen, konnten meine Thesen (bzgl. der starken Wirkung von Geld als Motivator – der Autor) nicht widerlegen. Im Gegenteil, es gab weitere Befunde, die dafür sprachen.
Die Befragten wurden gebeten, aus einer Liste von 17 Faktoren jeweils jene 3 mit dem größten Einfluss auf eine Steigerung der Arbeitsmotivation auszuwählen. Als mit Abstand wichtigster Faktor stellte sich Geld heraus. ‚Ein Gehalt, das meiner Leistung und meiner Arbeitssituation entspricht’ wurde sowohl als erster, als auch als zweiter und dritter Faktor jeweils am häufigsten genannt.“
Befragung zur Vergütung
Anlässlich einer Befragung der Deutschen Verkaufsleiterschule (DVS) unter Vertriebsmitarbeitern und -führungskräften, bei der u.a. nach der Motivationswirkung variabler Vertriebsvergütung gefragt wurde, ergab sich eine bemerkenswerte Erkenntnis: Interessanterweise antwortete die Mehrheit (50,41%) der in der DVS-Untersuchung Befragten auf die Frage „Was würde Sie zu mehr Engagement motivieren“ mit der Aussage: „Aussicht auf höheres Gehalt“. Es handelt sich dabei um den Aspekt mit den meisten Nennungen!
Also scheint trotz aller gegenteiligen Diskussionen Geld, d.h. Einkommen der nach wie vor wichtigste Motivator zu sein. Dabei ist nachvollziehbar, dass Mitarbeiter ein risikofreies Einkommen wünschen, ein Einkommen gewissermaßen unabhängig von den erbrachten Leistungen/Ergebnissen. Es ist gleichermaßen nachvollziehbar, dass Unternehmen dies nicht wünschen können: Aus Sicht der Unternehmen muss (und darf) der erfolgreiche Mitarbeiter mehr verdienen als der weniger Erfolgreiche. Neue Erkenntnisse der Gehirnforschung bestätigen dies auch aus Mitarbeiter-Sicht: Der leistungsstarke Mitarbeiter erhebt Anspruch auf ein höheres Einkommen, um eine Erfolgsbestätigung zu erhalten. Das höhere Einkommen des erfolgreichen Mitarbeiters aus Vertriebsvergütung dient nicht nur dazu, sich Wünsche erfüllen zu können, sondern ist in erster Linie Erfolgsbestätigung. Geld, d.h. Einkommen aus Vertriebsvergütung hat also –sowohl direkt als auch indirekt – durchaus mit Motivation zu tun.
Damit aber nicht genug: Eine zielorientierte Vertriebsvergütung ist Teil des Performance Managements (vgl. https://ub-kieser.de/vertriebsverguetung-und-high-performance-management/) und schafft Motivation über die Einbindung der Mitarbeiter in klare und eindeutige Ziele. Es ist wieder Jörg Zeyringer, der belegt, dass Mitarbeiter, die ihre Ziele kennen, motivierter sind als solche, die nicht mit Zielen geführt werden (vgl.: Jörg Zeyringer, Der neue Treppenläufer – wie man sich und andere motiviert, 2010)
Was gut gemachte Vertriebsvergütung leistet
Die Existenz von Zielen gilt als Voraussetzung, überhaupt Motivation bei Mitarbeitern entstehen zu lassen. Ziele geben dem Handeln eine Richtung, unterscheiden Wichtiges von Unwichtigem und lenken die Kraft auf die definierten Prioritäten. Nicht umsonst sind Unternehmen, die ihre Mitarbeiter zielorientiert führen und vergüten, erfolgreicher als andere. Und nicht umsonst arbeitet variable Vertriebsvergütung heute fast ausschließlich mit Zielen.
Gut gemachte Vertriebsvergütung ist also zielorientiert, bezieht möglichst viele Vertriebsmitarbeiter im Außen- und Innendienst in die leistungsorientierte Vergütung ein und macht an den persönlichen Ergebnissen des Mitarbeiters fest. Gut gemachte Vertriebsvergütung führt auf diese Weise zu leistungsgerechteren Einkommen, indem sich der engagierte, erfolgreiche Mitarbeiter auch in seinem Einkommen vom schwachen und weniger erfolgreichen Mitarbeiter abhebt. Eine reine Fixvergütung tut sich diesbezüglich deutlich schwerer: Wer individuelle Leistungsprämien ausschließt, muss an erfolgreiche Mitarbeiter höhere Gehälter zahlen, auch auf die Gefahr hin, nur ein momentanes „Strohfeuer“ zu entfachen und die Leistung nicht dauerhaft „oben“ zu halten. Variable Vertriebsvergütung dagegen stellt einen „atmenden“ Teil der Vergütung dar, der mit der Mitarbeiterleistung „mitgeht“.
Was gut gemachte Vertriebsvergütung überhaupt nicht will, ist eine „Gießkannenlösung“, bei der alle Mitarbeiter pauschal am Erfolg des Unternehmens beteiligt werden. So schlägt R.K. Sprenger vor (Interview im Manager Seminar), ein Drittel des Mitarbeitereinkommens an den Unternehmenserfolg anzubinden. Ganz abgesehen davon, dass Arbeitsgerichte den maximalen variablen Einkommensanteil eines Mitarbeiters zwischen 25% und 30% sehen, läuft dieser Vorschlag ins Leere: Wer Mitarbeiterverhalten beeinflussen will, muss Vertriebsvergütung an der individuellen, persönlichen Leistung festmachen. Außerdem läuft (wie bereits erwähnt) die Unternehmensrealität in die genau entgegengesetzte Richtung, indem immer mehr Unternehmen immer mehr Mitarbeiter in immer mehr Unternehmensbereichen in eine betont leistungsabhängige und individuelle Vergütung einbinden. Die Vertriebsvergütung ist dabei meist der Ausgangspunkt für eine generelle Renovierung der Mitarbeiter-Vergütungen.