Kieser: Indem man klar trennt zwischen der Aufgabe des Fixums und der Aufgabe, die die Provision zu erfüllen hat: Das Fixum ist für die Abdeckung der Basisleistung da (in unserem Beispiel die 700.000 EURO). Die Provision sollte nicht für eine schlechte oder unerwünschte Leistung (zwischen 0 EURO und 700.000 EURO) ausgegeben werden, sondern die Provision sollte auf den Dunstkreis der guten Leistung konzentriert werden. Es macht wirklich keinen Sinn, Provision für eine unerwünschte Leistung auszugeben. Und dieser Dunstkreis der guten Leistung beginnt z.B. bei 700.000 EURO. Würde man den Verlauf einer neuen Provision so einrichten, dass sie bei 700.000 EURO startet und dass der Mitarbeiter bei Erreichung der 800.000 EURO wieder seine 16.000 EURO erhält, dann hätte man einen äußerst steilen Verlauf der Provision gewährleistet. Würde der Mitarbeiter nun die 900.000 EURO Umsatz erreichen, hätte er nicht 2.000 EURO mehr Provision, sondern er hätte z.B. 6.000 oder 8.000 oder sogar 10.000 Euro mehr Provision – je nachdem, wie steil man die Kurve der Provision laufen lässt.
Schneider: Wie sieht nun der Zuschnitt moderner Provision im Vertrieb/Verkauf aus? Wie verläuft die Kurve der Provision?
Kieser: Die Kurve der Provision beschränkt sich auf den realistischen Leistungsbereich des Mitarbeiters, nämlich den, um den es im neuen Jahr geht. Dieser Korridor ist durch entsprechende Ziele festgelegt. Damit verläuft die Kurve der Provision extrem steil und motivierend. Bei solchen Provisionen lohnt es sich für den Mitarbeiter wieder, Mehrleistung zu bringen.
Schneider: Wird das aber nicht zu teuer für das Unternehmen?
Kieser: Nehmen wir einmal an, dass 100.000 EURO mehr Umsatz 30.000 Euro mehr Deckungsbeitrag bringen und man würde dem Mitarbeiter dafür 6.000 EURO mehr Provision geben, dann wäre der Mehr-Deckungsbeitrag mit 20% belastet. 20% des Mehrertrags fließen also über Provision an den Mitarbeiter, 80% bleiben beim Unternehmen. Und dabei handelt es sich nicht um eine Dauerbelastung für das Unternehmen, denn die Ziele werden in jedem Jahr neu festgelegt. Damit wird die zusätzliche Provision nicht „verrentet“, sondern fließt Stück für Stück wieder dem Unternehmen zu. Die Kurve der neuen Provision muss natürlich an die Möglichkeiten im Unternehmen angepasst werden: Der Anstieg der Provision für Mehrleistung kann nur so steil sein, wie es die Erträge zulassen, die in der Mehrleistung des Mitarbeiters stecken.
Schneider: Der Unterschied zur klassischen Provision liegt demnach im wesentlich steileren Verlauf der Vergütungskurve. Kann man also in dem Zusammenhang von einer echten Win-Win-Situation sprechen?
Kieser: Genau. Erreicht der Mitarbeiter eine spürbare Mehrleistung, kann er seine Provision z.B. um 50% oder sogar um 100% steigern. Hierfür hätte er bei einer klassischen Provision Jahre benötigt. Moderne Provision ist damit „vorwärts-orientiert“, d.h. jedes Jahr wird der Leistungskorridor des Mitarbeiters neu definiert. Die Folge davon ist, dass kurzfristig aufgrund der spannenden Provision eine maximale Motivation zu Bestleistungen gegeben ist, ohne die Provision des Mitarbeiters langfristig und ungewollt „explodieren“ zu lassen.
Schneider: Ich möchte nun zu meinem nächsten Themenkomplex kommen, nämlich zu der Frage, wie hoch der Anteil der Provision am Gesamteinkommen des Mitarbeiters sein sollte?
2. Wie hoch soll der variable Einkommensanteil sein, der mit Provision vergütet wird?
Kieser: Viele Unternehmen haben bei der Vergütung mit Provision häufig das Problem, dass die variablen Anteile am Gesamteinkommen des Mitarbeiters zu hoch sind und damit arbeitsrechtlich anecken oder sie sind zu niedrig und geben der Provision keine Chance zur Motivation.
Schneider: Also variable Einkommensanteile über Provision sollten aber doch spürbar sein?
Kieser: Sicher, die richtige Vergütung mit klugen Provisionen entscheidet heute in hohem Maß über den Vertriebserfolg des Unternehmens. Wenn man nachhaltige Wirkung über Provision erzeugen will, muss man spürbare variable Einkommensanteile einrichten. Mit „Sahnehäubchen“ bewegt man nichts. Üblicherweise erhalten Außendienstmitarbeiter heute einen variablen Einkommensanteil von etwa 30%. Im Innendienst sind variable Einkommensanteile von 15% nicht unüblich.
Schneider: Sie sagten gerade etwas davon, dass hohe Vergütungsanteile über Provision arbeitsrechtlich anecken könnten?
Kieser: Spürbare variable Einkommensanteile über Provisionen sind sicher wichtig in der variablen Vergütung, andererseits sehen Arbeitsgerichte hier gewisse Grenzen:
Ein 25%iger bis 30%iger variabler Einkommensanteil, der über Provision vergütet wird (25% bzw. 30% vom Gesamteinkommen des Mitarbeiters), gilt heute als sinnvoll. Die Auffassung der Arbeitsgerichte ist, dass der Mitarbeiter bzgl. seines Einkommens im Rahmen der Vergütung mit Provisionen Verlässlichkeit und Berechenbarkeit braucht. Er darf gewissermaßen keinen zu großen Schwankungen in seinem Gesamteinkommen ausgesetzt werden.
Es besteht im Zusammenhang mit der Vergütung von Provisionen eine weitere Gefahr: Fest angestellte Außendienstmitarbeiter mit einem relativ hohen Anteil von Provision am Gesamteinkommen (z.B. 50% oder mehr) können im Zweifelsfall einen Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB (Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters) geltend machen. Die Struktur der variablen Vergütung mit Provision sollte diese Grenzen beachten.
Schneider: Ist denn ein variabler Anteil von 30% über Provision im Außendienst und von 15% im Innendienst ausreichend für eine motivierende Vergütung?